Studie: Reparaturprogramm aktiviert Regeneration von beschädigten Nervenverbindungen

Die Nervenzellen des Menschen sind zu einem Netzwerk verschaltet, dessen Ausläufer in alle Winkel des Körpers hineinreichen. Steuersignale gelangen so vom Kopf bis in die Zehenspitzen – und Sinneseindrücke strömen in Gegenrichtung zurück. Wie bei einem Staffellauf werden dabei Impulse von Nervenzelle zu Nervenzelle weitergegeben. Wird dieses Leitungssystem beschädigt, kann das drastische Folgen haben – besonders dann, wenn Gehirn oder Rückenmark betroffen sind. Denn die Zellen des zentralen Nervensystems sind über Axone miteinander verknüpft. Werden diese Fortsätze gekappt, wachsen sie nicht nach. Beschädigte Nervenleitungen können nur dann regenerieren, wenn zwischen den betroffenen Zellen neue Verbindungen entstehen. Dazu müssen die Zellen gewissermaßen ihre Arme ausstrecken, das heißt: die Axone müssen wachsen.

Forscher des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) haben eine molekulare Bremse gelöst, die die Wiederherstellung von Nervenleitungen im Rückenmark verhindert. Die Behandlung von Mäusen mit dem Wirkstoff Pregabalin, der die Wachstumsbremse beeinflusst, ließ verletzte Nervenleitungen regenerieren.

Bioinformatischer Aufwand groß

"Wir sind von der Hypothese ausgegangen, dass Nervenzellen ihr Wachstumsprogramm aktiv runterregulieren, wenn sie andere Zellen erreicht haben. Das geschieht, damit sie nicht über das Ziel hinausschießen. Demnach sollte es eine Wachstumsbremse geben, die dann eingeschaltet wird, sobald sich eine Nervenzelle mit anderen verknüpft hat", unterstreicht der DZNE-Wissenschaftler und Erstautor der aktuellen Forschungsarbeit, Andrea Tedeschi. Im Organismus von Mäusen und in Zellkulturen startete das Team eine umfangreiche Suche nach Erbanlagen, die das Wachstum von Nervenzellen regulieren. "In einer Nervenzelle sind je nach Entwicklungsstadium hunderte von Genen aktiv. Der bioinformatische Aufwand war erheblich", ergänzt DZNE-Neurobiologe Frank Bradke. "Letztlich konnten wir einen aussichtsreichen Kandidaten identifizieren. Das Gen mit der Bezeichnung Cacna2d2 spielt für die Ausbildung der Synapsen, also die Verschaltung der Nervenzellen, eine wichtige Rolle."

Hoffnung mit Medikament PGB

Die Forscher veränderten die Aktivität des Gens, indem sie es zum Beispiel ausschalteten. So konnten sie nachweisen, dass sich Cacna2d2 tatsächlich auf das Wachstum der Axone und die Regeneration von Nervenverbindungen auswirkte. Cacna2d2 codiert den Bauplan eines Proteins, das Bestandteil eines größeren Molekülkomplexes ist. Das Protein verankert in der Zellmembran sogenannte Ionenkanäle, die den Einstrom von Kalzium-Teilchen in die Zelle regulieren. Da sich die Kalzium-Konzentration unter anderem auf die Freisetzung von Botenstoffen auswirkt, sind diese Kanäle essenziell für die zelluläre Kommunikation.

"Unsere Studie zeigt, dass die synaptische Verschaltung wie ein Schalter wirkt, der das axonale Wachstum abbremst. Dieser Effekt lässt sich mit einem verfügbaren Medikament beeinflussen", sagt Bradke. Tatsächlich wird Pregabalin (PGB) schon jetzt bei Rückenmarksverletzungen eingesetzt, allerdings als Schmerzmittel und erst relativ spät, nachdem die Verletzung stattgefunden hat. "PGB könnte bei Patienten vielleicht einen regenerativen Effekt haben, verabreicht man es früh genug. Daraus könnte sich langfristig ein neuer Ansatz für die Therapie ergeben. Das lässt sich aber jetzt noch nicht einschätzen", berichtet der Forschungsleiter.

(pte/map)
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