Kongressbericht: ANIM 2018 - Arbeitstagung NeuroIntensivMedizin

Mit großem Erfolg fand zum 35. Mal die ANIM 2018 – Arbeitstagung NeuroIntensivMedizin – als gemeinsame Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin (DGNI) und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) statt. Fast 1300 Mediziner, Pflegekräfte und Therapeuten nutzten vom 8. bis 10. Februar 2018 im Congress Centrum Würzburg das umfangreiche Angebot an Sessions und Symposien und konnten so wichtige neue Erkenntnisse für ihre tägliche Arbeit gewinnen. Interdisziplinär, interprofessionell und international: Mit einem vielfältig-anregenden Programm bot die ANIM 2018 ihren Teilnehmern drei Tage lang ein gelungenes und weitreichendes Update der Neurointensivmedizin, Neurologie und Neurochirurgie.

Neue Pfade

Tagungspräsident Prof. Wolfgang Müllges, Würzburg, beschritt mit dem Kongressprogramm in diesem Jahr ganz bewusst neue Pfade. Mit gutem Grund: „Die immer älter werdende Bevölkerung mit verbesserter Prognose auch im hohen Lebensalter, die verdichteten Prozesse in den Kliniken mit verkürzter Aufenthaltsdauer und schließlich die großen Fortschritte in der Therapie in der Akutphase haben uns die Langzeitprognose aus den Augen verlieren lassen.“ Deshalb lagen zum ersten Mal Tagungsschwerpunkte auf der Neurorehabilitation einerseits sowie auf der Neuropsychologie andererseits: „Was wir bisher sträflich vernachlässigt haben, was die Lebensqualität unserer Patienten aber entscheidend mitbestimmt, sind neuropsychologische Störungen. Deshalb ist es wichtig, schon in der Frühphase weise zu entscheiden, wie weit wir in der Therapie gehen wollen.“

Im Fokus: Optionen effektiver Schlaganfallbehandlung

DGNI-Präsident Prof. Dr. med. Georg Gahn M.B.A, Karlsruhe, markierte die aktuelle Situation der Neurointensivmedizin: „Wir stehen vor neuen Herausforderungen und werden zugleich durch Umstrukturierungen unter zum Teil massiven Druck gesetzt.“ Neue wichtige Themen dieser 35. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin (DGNI) und der Deutschen Schlaganfallgesellschaft (DSG) waren zum Beispiel Prognosescores auf Intensivstationen, unter anderem für sehr alte Patienten. Vor dem Hintergrund der bahnbrechenden Entwicklungen in der Behandlung des Schlaganfalls in den letzten Jahren sei der gemeinsame Kongress mit der DSG „ganz wichtig und essentiell“, betonte DGNI-Präsident Gahn. Dabei standen auf der ANIM nicht nur Optionen effektiver Schlaganfallbehandlung im Fokus, wie sie die jüngsten Entwicklungen auf diesem Gebiet ermöglichen, sondern ganz wesentlich auch Fragen einer übergeordneten Perspektive, die Prof. Wolfgang Müllges sehr treffend so zusammenfasste: „Was können wir? Was wollen wir? Und was ist wirklich zum Wohle der Patienten?“

Intensivmedizin im hohen Alter

In 75 spannenden Einzelveranstaltungen ging es um wichtige aktuelle Themen wie zum Beispiel „Intensivmedizin im hohen Alter – Erfolg und Grenzen“. Prof. Werner Hacke, Heidelberg, stellte diverse Studien dazu vor, dass beim akuten ischämischen Schlaganfall sowohl die systemische Thrombolyse als auch die interventionelle Thrombektomie auch im höheren Alter erfolgreich durchgeführt werden können. Die Outcome-Ergebnisse seien altersbedingt schlechter, aber der Behandlungsvorteil bleibe erhalten. Das Fazit: Alter per se sollte nicht den Ausschlag geben, über Therapien zu entscheiden, besonders bei Schlaganfall. Auch für das Krankheitsbild der Hirnblutung (ICB) sollte das Alter kein Ausschlusskriterium für eine Therapie sein, so der zweite Referent, Dr. Dimitre Staykov, Eisenstadt, und auch Prof. Gabriel Rinkel aus Utrecht (Niederlande), der über die Subarachnoidalblutung (SAB) sprach, hielt eine Aneurysmabehandlung auch bei älteren Patienten für empfehlenswert, da auch sie gute Chancen auf das Wiedererlangen ihrer Funktionsfähigkeiten haben.

Grenzentscheidungen

Doch gleichzeitig werde „zu viel erwartet bei jedem Krankheitsbild und in jedem Alter“, wie DGNI-Präsident Prof. Georg Gahn warnte. Zahlreiche Sitzungen thematisierten die längerfristige Prognose und - auch ethische - Grenzentscheidungen. „Es muss für Intensivmediziner unbefriedigend bleiben, wenn Patienten zwar die Akutphase überleben, aber man nicht weiß, ob sie später mit einer zurückbleibenden Behinderung zufrieden zurechtkommen“, betonte Kongresspräsident Prof. Wolfgang Müllges. „Nur wenn wir in der Akutsituation bereits eine tragfähige Auskunft über die Zukunft geben können, werden wir Behandlungsoptionen sinnvoll vermitteln und klug einsetzen können.“

Highlight

Zu den Highlights der ANIM 2018 zählte das Joint-Meeting der DGNI mit der Neurocritical Care Society (USA), dessen Resonanz alle Erwartungen übertraf. Neben hochkarätigen Vorträgen amerikanischer und deutscher Mediziner stand im Mittelpunkt des Symposiums die Erarbeitung von zwei Positionspapieren zu den Themen „Prognostication in Neurocritical Care“ und „Post ICU Syndrome“. „What will the outcome be? Prognostication in Neurocritical Care“ war das heiß diskutierte Thema, in dem die Notwendigkeit, aber auch die Schwierigkeiten der Prognosefindung verschiedener neurologischer Krankheitsbilder vorgestellt und diskutiert wurden. Das Resümee von Dr. Katja Wartenberg, Halle/ Saale, auf deren Initiative dieses nach 2013 zweite Joint-Meeting zurückging, brachte die fruchtbare interkontinentale Zusammenarbeit auf den Punkt: „Die Botschaft unserer deutsch-amerikanischen Diskussionen ist es, dass wir offen auf die aktuellen Probleme zugehen, gemeinsam über neue Entwicklungen nachdenken - und zwar interdisziplinär -, und damit auch über die Grenzen unseres Fachs hinausgehen.“

Angst ein Thema der ANIM

Einen äußerst interessanten Blick über die Grenzen der eigenen Disziplin hinaus ermöglichte Tagungsleiter Prof. Wolfgang Müllges den Kongressteilnehmern auch im Rahmen seines vielbeachteten Präsidentensymposiums, welches sich in zwei denkbar unterschiedlichen, aber gleichermaßen erhellenden Beiträgen dem Thema Angst zuwendete. „Ich frage mich seit langem, was wir tun können, um die schlechten Erfahrungen aus der Zeit der Schwerstkrankheit nicht in das Gehirn unserer Patienten einbrennen zu lassen“, begründete Müllges seine Wahl. Einblicke in die Biochemie des traumatischen Gedächtnisses lieferte Prof. Dr. Gustav Schelling, München. Er erläuterte, über welche Wege sich traumatische Erinnerungen im Gehirn konsolidieren und dann für den Abruf auch in unspezifischen Situationen in den Vordergrund drängen können. Interessant und praxisrelevant für die Kollegen im voll besetzten Auditorium: die unterschiedlichen Effekte von Anästhetika und Seditiva auf das traumatische Gedächtnis. Der neurobiochemische Ansatz hat so Bedeutung für mögliche Sedierungskonzepte.

Viel Beifall erntete Ev Kunz, Polizeirätin aus Leipzig, für Ihren Vortrag zum Umgang mit Ängsten im beruflichen Alltag. Und diesen Beifall erntete genau genommen auch Prof. Wolfgang Müllges für seine mutige Entscheidung, im Präsidentensymposium die Angst zum Thema zu machen. Müllges wollte schauen, wie andere Berufsfelder mit Angst vor Entscheidungen, vor Verantwortung, vor der eigenen Courage oder – im konkreten Fall junger Intensivmediziner – etwa vor dem Nachtdienst als Berufsanfänger umgehen. „Was kann ein Vorgesetzter tun, um seinen ‘Frontleuten` Angst zu nehmen oder erträglich zu machen? Eine gewisse Parallele erwarte ich bei der Bereitschaftspolizei, die auch niemals weiß, was da Brenzliges auf sie zukommt“, erklärte Wolfgang Müllges seine Intention. Vorbild sein, lautete die Antwort von Ev Kunz. Das schließe ein, sich in die Ängste seiner Mitarbeiter hineinzuversetzen, Verständnis aufzubringen, hilfreich zu sein in den Anweisungen und vertrauensvoll im Umgang, so dass die Kollegen keine Angst haben nachzufragen oder einen Rat einzuholen. Das schaffe Sicherheit im Polizeialltag – zusätzlich zu einer guten Ausstattung, einer fundierten Ausbildung, Dienstvorschriften, die greifen, sowie einer guten Einsatzvorbereitung. Seit 22 Jahren im Polizeidienst, veranschaulichte sie anhand von Videoaufzeichnungen sowie persönlichen Erlebnisberichten die Spezifik der Angst ihrer eigenen Berufsgruppe auf spannende und unterhaltsame Weise.

Die 36. ANIM - Arbeitstagung NeuroIntensivMedizin findet 2019 vom 17. bis 19. Januar wieder in Berlin im Hotel Maritim statt. Die Tagungsleitung liegt bei Professor Dr. med. Helmuth Steinmetz, Universitätsklinikum Frankfurt, Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie Frankfurt/Main. Die Deadline für die Abstracteinreichung endet am 19. August 2018.

Text: Kerstin Aldenhoff

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Quellen-URL (abgerufen am 23.04.2024 - 19:10): http://www.neuromedizin.de/Neuro-Rehabilitation/Kongressbericht--ANIM-2018---Arbeitstagung-NeuroIntensivMedi.htm
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